Was sind Speisepilze?

Unter Speisepilzen wollen wir in Deutschland alle Fruchtkörper von Großpilzen verstehen, die küchenmäßig zubereitet (Erhitzen erforderlich!), geeignet sind, von ihrer eindeutigen Identifizierbarkeit, Anzahl, Größe, Verträglichkeit und gesundheitlicher Unbedenklichkeit her gesehen, einen Beitrag zu unserer Ernährung zu liefern unter Einhaltung der Beschränkungen der Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV) und unter Schonung der gefährdeten Rote-Liste-Pilze. Ende 2016 erschien die aktualisierte Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands. Band 8: Pilze (Teil 1) Großpilze von Matzke-Hajek, G. u.a. (Red.), anhand derer der Gefährdungsgrad der jeweiligen Art zu ermitteln ist. Es versteht sich von selbst, dass vom Aussterben bedrohte Pilzarten keine Speisepilze sind.

Die Fruchtkörper der Ständer- und Schlauchpilze bestehen beileibe nicht immer aus Stiel und Hut mit lamelliger oder röhrenförmiger Fruchtschicht, wie bei den meisten Speisepilzen. Manchmal sehen die Fruchtkörper eher aus wie Korallen, Keulen, Becher, Fächer, Trompeten oder auch Kugeln, wie wir sie vorn bei den Trüffeln schon kennengelernt haben. Eine Vorstellung von der Vielfalt der Fruchtkörpertypen erhält man über die mittlerweile in großer Auswahl vorhandenen Pilzfotobücher (z.B. von Gerhardt, Ewald, Der große BLV Pilzführer für unterwegs, München 2006; Laux, Hans E., Der große Kosmos Pilzführer, Stuttgart 2001) u.v.m. oder im Internet. Wenn wir Pilze sammeln, pflücken wir also nur seine Früchte, über die sich der Pilz durch die in der Fruchtschicht gebildeten Sporen vermehrt. Bis heute sind die Bedingungen, unter denen das in Boden, im Holz, in Pflanzen oder manchmal sogar Tieren wachsende Pilzgeflecht Fruchtkörper hervorbringt, nur bei wenigen und deshalb züchtbaren Arten (s.o.) bekannt. Parameter wie Feuchtigkeit, eine gewisse Temperatur oder Boden- und Substratansprüche sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für die Entwicklung von Fruchtkörpern. Manche Jahre sind ausgesprochene Pilzjahre, manche Wildpilze erscheinen jahrzehntelang nicht.

Fruchtkörper von Großpilzen, so die Definition, sind alle Fruchtkörper, die mit bloßem Auge einzeln wahrgenommen werden können. Dadurch versteht sich von selbst, dass ebenfalls zu den Pilzen gehörende Hefen, Schimmel, Brände u.ä., die z.T. lebensmitteltechnologisch etwa zur Herstellung von Bier, Kefir oder bestimmten Käsen zum Einsatz kommen, keine Großpilze sind. Trotzdem sind Großpilze noch lange keine Speisepilze. Von den in Europa schätzungsweise ca. 12.000, in Deutschland über 6.000, zu findenden Großpilzen sind weitaus die meisten in ihren Wirkungen auf den menschlichen Organismus völlig unbekannt und es gibt sich freiwillig kaum einer dafür her, als Versuchskaninchen eingesetzt zu werden. Die ungenaue Artenzahl ergibt sich aus den unterschiedlichen Artkonzepten der durchaus kontrovers denkenden Mykologengemeinden, daraus, dass heute auch in Deutschland noch ständig neue Arten entdeckt werden oder aber dadurch, dass zur Artbestimmung immer häufiger die jetzt erschwinglich gewordenen Genomanalysen zusätzlich zum Tragen kommen, durch die neben grundlegenden, systematischen Erkenntnissen, die ganz neue Verwandtschaftsbeziehungen offenbaren, immer neue Arten generiert werden oder umgekehrt auch schon mal vormals getrennte Arten doch zu einer einzigen Artengruppe zusammengefasst werden müssen (Diskussion: Schmidt-Stohn, G., Oertel, B.: Methodik und Anwendung von DNA-Analysen in der Pilz-Taxonomie, in: ZMykol.76/1, 2010, S. 101 ff.).

Zu Speisezwecken ungeeignet sind zunächst Großpilze, die, obwohl sichtbar, mit wenigen Millimetern Durchmesser zu winzig sind, um eine Mahlzeit damit gestalten zu können. Auch harte und zähe Arten sind, bis auf wenige pulverisierbare Arten, ungenießbar. Grundsätzlich gilt: Nur wer Pilze eindeutig identifizieren kann, aber wirklich auch nur der, kann sein Speisepilzspektrum über die im Handel angebotenen Wildpilzarten hinaus erweitern.

Artbeschreibungen in Pilzbestimmungsbüchern geben i.A. Hinweise auf den Speisewert der Art. Ob jeder als essbar ausgewiesene Pilz auch schmeckt, bleibt dabei jedem selbst überlassen. Vorsicht ist trotzdem bei diesen Essbarkeitsempfehlungen geboten: immer neue Erkenntnisse über Vergiftungssyndrome auch bei „schon immer“ verzehrten Pilzen machen es dem Speisepilzsammler nicht leicht mit der Auswahl für das Pilzgericht, so z.B. beim Grünling (Tricholoma equestre), einem noch immer begehrten Massepilz auf sandigen Kiefernböden, der aber in den letzten Jahren in einigen Fällen zu kompliziertem Muskelabbau mit Todesfolge (Rhabdomyolyse) geführt hat und von Pilzsachverständigen nicht mehr als Speisepilz freigegeben wird, obwohl beispielsweise in Polen davon noch geschätzte 60.000 Tonnen pro Jahr verspeist werden. Im Zweifel muss der Pilz im Wald bleiben. Alte Bestimmungsliteratur trägt neuen Erkenntnissen keine Rechnung. Auch die genaueste Diagnose in einem Pilzbestimmungsbuch kann die umfassende Erfahrung nicht ersetzen, die ein Pilzsammler erst im Laufe der Zeit unter Anleitung von anerkannten Fachleuten erwirbt. Deshalb sollte man sich beim geringsten Zweifel vorsichtshalber zum Nachbestimmen selbstbestimmter Pilze an eine Pilzberatungsstelle, einen anerkannten Pilzberater oder Pilzsachverständigen (PSV der DGfM) in der Nähe wenden.

2.1: Tricholoma equestre (Gelbfleischiger Grünling) von PSV nicht zu Speisezwecken freigegeben, da Rhabdomyolyse (Muskelabbau) möglich (Foto E. Wandelt 2012)

Der Fachausschuss Toxikologie und Pilzverwertung der Deutschen Gesellschaft für Mykologie e.V. hat 2015 eine pdf ihrer Positivliste der Speisepilze wie auch eine der Pilze mit uneinheitlich beurteiltem Speisewert auf www.dgfm-ev.de zum Abruf bereitgestellt. Auf einen Abdruck dieser Listen wird deshalb an dieser Stelle verzichtet.

Seit 2014 findet man auf letzterer auch den bis dahin ohne Einschränkung zu Speisezwecken empfohlenen Erdritterling (Tricholoma terreum), da in ihm geringe Mengen der Stoffe gefunden wurden, die beim Verzehr von Grünlingen (Tricholoma equestre) zu der weiter oben beschriebenen Rhabdomyolyse geführt haben.

In der Positivliste der Speisepilze sind auch Großpilze enthalten, die nach der Bundesartenschutzverordnung ohne Ausnahme geschützt sind (BArtSchV §1 Satz1) oder in geringen Mengen (Richtwert: 1 kg/Tag/Person) für private Zwecke gesammelt werden dürfen (BArtSchV §2 Abs.1). Die Schutzvorschriften sind unbedingt zu beachten, deshalb sind in der folgenden Liste die geschützten Arten im Einzelnen aufgeführt:

Liste 1: Geschützte Arten durch Bundesartenschutzverordnung

2.3: Hygrocybe punicea (Granatroter Saftling) Pilz ungedüngter Wiesen, hochgefährdet, voll geschützt (Foto E. Wandelt 2015)

Vollständig geschützte Arten gem.§1 Satz 1 BArtSchV sind:

Anhängsel-Röhrling (Boletus appendiculatus)

Blauender Königs-Röhrling (Boletus pseudoregius)

März-Schneckling (Hygrophorus marzuolus)

Echter Königs-Röhrling (Boletus regius)

Erlengrübling (Gyrodon lividus)

Kaiserling (Amanita caesarea)

Saftlinge, alle Arten (Hygrocybe spp.)

Schaf-, Semmel-, Ziegenfuß-, Gelbgrüner Kammporling – alle heimischen Arten (Albatrellus spp.)

Schwarzhütiger Steinpilz (Boletus aereus)

Silber- oder Sommer-Röhrling (Boletus fechtneri)

Trüffeln, alle Arten (Tuber spp.)

 

 

2.2: Boletus edulis (Fichten-Steinilz) Achtung teilgeschützt, Opfer unkontrollierter Wildsammlung (Foto W. Schulz 2009)

Arten, die gem. §2 Abs.1 BArtSchV zwar geschützt sind, für private Zwecke aber in kleinen Mengen (1kg/Tag/Person) gesammelt werden dürfen

Brätling (Lactarius volemus)

Morcheln, alle Arten (Morcheln spp.)

Pfifferlinge und alle anderen Leistlinge (Cantharellus spp.)

Raufußröhrlinge, alle Arten (Leccinum spp.)

Schweinsohr (Gomphus clavatus)

Fichten-Steinpilz (Boletus edulis)

 

 

 

 

 

Auffallend an den Arten dieser Liste ist, dass außer den meisten Saftlingen und den vielleicht gastrointestinal problematischen Morcheln, alle geschützten Arten zu den guten Speisepilzen gehören, was bedeutet, dass diese zwar vor menschlichem Verzehr (teilweise) geschützt sind, einen besonderen Biotopschutz hingegen genießen Großpilze nicht. Auch Naturschutzgebiete werden nicht wegen ihrer besonderen Pilzflora ausgewiesen, sondern wegen schützenswerter Pflanzen- und Tierarten. Bei den unter Schutz gestellten beliebten Wildspeisepilzen gelten unter Mykologen die wenigsten als in ihrem Bestand gefährdet. Zudem ist bis heute der Nachweis nicht erbracht, dass die Entnahme von Fruchtkörpern – durch Herausdrehen oder Abschneiden – das Mycel schädigt. Ein maßvolles Besammeln hat sich bisher noch nicht als schädlich für die Pilzbestände herausgestellt. Stärker gefährdet sind Pilzarten, die durch ihre Bodenansprüche an Biotope gebunden sind, die durch Umnutzung (besonders düngemittelempfindliche Arten wie die Saftlinge) verloren gehen oder durch intensivierte Forstwirtschaft zerstört werden.

 

Ein Service des Bundesministeriums der Justiz in Zusammenarbeit mit der juris GmbH ermöglicht einen Download der BArtSchV unter www.juris.de. Die Verordnung regelt auch, dass eine Landesbehörde für Arten, die sie landesweit oder in bestimmten Regionen nicht für gefährdet hält, Ausnahmegenehmigungen für gewerbliche Sammler erteilen kann. Solche Pilze können auf Märkten oder in Gaststätten nur dann legal angeboten werden, wenn sie mit dieser Genehmigung gesammelt worden sind. Andere legale Bezugsquellen für bei uns geschützte Arten sind rechtmäßige Zucht und Naturentnahmen innerhalb der EU oder rechtmäßiger Import aus einem Land außerhalb der EU. Der rechtmäßige Erwerb ist auf Verlangen den Naturschutzbehörden nachzuweisen.

Immer häufiger erlebt man, dass gewerbliche Wildsammlungshorden zur Pilzsaison unsere Wälder durchkämmen und alles mitnehmen, was in den Städten und an die Restaurants unseres Landes hochpreisig verkauft wird: 1 kg Fichtensteinpilz kann gut 30–40–50 Euro einbringen. Ob das im Sinne des Artenschutzes ist, darf bezweifelt werden. Und ob tatsächlich Ausnahmegenehmigungen vorliegen, kann kaum kontrolliert werden. Wie also mit genehmigter und ungenehmigter gewerblicher Wildpilzsammlung am besten umzugehen ist, wartet noch dringend auf eine eindeutige Klärung.

Aber auch für nicht ausdrücklich geschützte Pilze gelten bestimmte allgemeine Schutzvorschriften. Es ist verboten „ohne vernünftigen Grund wild lebende Pflanzen von ihrem Standort zu entnehmen oder zu nutzen“. Das gilt auch für Pilze. Der Eigenbedarf (Orientierungsmenge: 1kg/Person/Tag) ist hier vom Gesetz gedeckt, nicht aber das wahllose Sammeln aller vorgefundenen Pilze ohne jegliche Artenkenntnis, die dann hinterher dem Pilzberater zur Auswahl vorgelegt werden.

Die von der Positivliste der DGfM e.V. empfohlenen Speisepilze aus Wildsammlungen decken sich nur zum Teil mit den Arten der Leitsätze für Pilze und Pilzerzeugnisse des Deutschen Lebensmittelbuches4, hier sind zusätzlich weitere in Deutschland mehr oder minder gängige Marktpilze (aus Zuchten und Wildsammlungen), sogar einige in Deutschland total geschützte und einige Rote-Liste-Arten enthalten. Schon 1996 haben Heinz Ebert und Karin Montag diese Themen unter dem Titel „Speisepilze im Lebensmittelgesetz“ kritisch diskutiert. Bis heute hat sich an den kritisierten Zuständen nichts geändert5. Aus Fernost (China, Japan) bereichern einige (außer dem Shiitake-Pilz, der auch in Deutschland gezüchtet wird) noch eher wenig bekannte Pilze wie Mu-err-Pilz (Auricularia polytricha), Chinesisches Stockschwämmchen, Nameko (Pholiota nameko), Matsutake (Tricholoma matsutake), ursprünglich Mykorrhiza-Pilz aus Nordamerika, White Fungus, Silberohr (Tremella fuciformis) oder Shan Fu, Igelstachelbart (Hericium erinaceus), das z.T. fragwürdige Spektrum der Speisepilze. Unter welchen Bedingungen dort gezüchtet oder gesammelt wird, ist nur für wenige zertifizierte Biobetriebe klar. Zum gewerblichen Handel mit seltenen und als gefährdet geltenden Pilzen ist auch in der neuesten Fassung der Leitsätze keine Änderung erkennbar. In seinem Merkblatt Nr.6 (Stand 1/2013) (siehe unter www.lvps.de) hat der Landesverband der Pilzsachverständigen in Sachsen-Anhalt e.V. (LVPS) Rechtsgrundlagen für den Verkehr mit Speisepilzen und Rechtsbezüge in der öffentlichen Pilzberatung zusammengestellt und mahnt an, Rechtsvorschriften zu erlassen, die die öffentliche Pilzberatung regeln. Auch die Leitsätze über Pilze und Pilzerzeugnisse haben keinen Rechtsvorschriftcharakter, sondern sind lediglich gutachterliche Stellungnahmen zur Verkehrsauffassung für Speisepilze und Speisepilzerzeugnisse.

Momentan wird in der DGfM e.V. intensiv an der dringend erforderlichen Überarbeitung der Leitsätze gearbeitet. Wirksame Kontrollinstanzen für Marktpilze müssten geschaffen werden. Eine staatliche Anerkennung von Pilzsachverständigen, die durchaus die überfälligen Kontrollarbeiten übernehmen könnten, steht bis heute aus.

Eine Möglichkeit, unkontrollierten Wildsammlungen Einhalt zu gebieten, könnte eine Beschränkung von Wildsammlungen auf private Zwecke und eine wesentliche Erweiterung der Pilzzucht sein. Nach FAO-Angaben belief sich die Weltproduktion aller Speisepilze im Jahr 2005 auf fast 3,2 Mio. t. Die wichtigsten Erzeugerländer in der Reihenfolge ihrer Erzeugermengen waren (in 1000 t) China (1411), USA (383), Niederlande (245), Frankreich (165), Spanien (165), Polen (135), Italien (88), Kanada (80), England (74), Irland (70) und Deutschland (65). Deutschland ist in dieser Reihe also Schlusslicht.6 Eine pdf mit den Handelsbezeichnungen kultivierbarer Speisepilze findet man auf der Homepage der DGfM e.V. (www.dgfm-ev.de/speise-und-giftpilze/speisepilze). Viele davon sind auch in Deutschland in freier Wildbahn zu finden! Immer wieder sind überraschende Züchtungserfolge zu verzeichnen an neuen Speisepilzarten, die sich am Markt tatsächlich durchsetzen können. Erwähnenswert ist u.E. der Siegeszug des Kräuterseitlings (Pleurotus eryngii) in der Pilzzucht, von dem drei seltene Schweizer Varietäten, die unterschiedliche Doldenblütler besiedeln und in Isolation künftig auf dem Weg der Artbildung sein könnten, beschrieben werden7. Dank gelungener Zucht ihres Verwandten hätten sie eine Chance, weiter auf diesem Erdball vertreten zu bleiben. Schließlich ist von der geglückten Züchtung des Schopftintlings (Coprinus comatus) zu berichten, der, wie schon der Name sagt, beim Älterwerden durch Autolyse des Hutes seine Sporen in einer schwarz gefärbten Brühe freigibt, sonst von seinen Eigenschaften her den Champignons gleicht und unter ähnlichen Bedingungen wie dieser gezüchtet wird. In den Leitsätzen sind diese beiden noch gar nicht angekommen!

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Ein Kommentar

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