Selbstverständlich darf vom Speisepilzgenuss keine Gesundheitsgefährdung ausgehen. Damit entfallen zunächst alle ca. 150 Großpilze (Lüders, Rita, Grundkurs Pilzbestimmung, Wiebelsheim 2007, S.69), die natürliche Giftstoffe herstellen, die trotz sachgemäßer Zubereitung einer Pilzmahlzeit, dazu gehört bei Pilzen unbedingt ein gründliches Erhitzen, noch wirksam sind.
An dieser Stelle sollen nicht alle Giftpilzarten mit ihren Wirkungsstoffen vorgestellt werden. Dazu sei auf die einschlägige Literatur verwiesen, z.B. Giftpilze – Pilzgifte von René Flammer und Egon Horak, Basel, 2003 und Giftpilze von Andreas Bresinsky und Helmut Besl, Stuttgart, 1985.
Hilfreich ist aber in jedem Fall auch hier wieder eine vom Fachausschuss Toxikologie und Pilzverwertung der DGfM e.V. erstellte pdf, Stand 4.2014, mit einer Liste der bisher in Deutschland bekannten Giftpilze, dazu eine von 12.2015, die alphabetisch Vergiftungssyndrome bei Pilzvergiftungen aufführt (siehe www.dgfm-ev.de/speise-und-giftpilze). Erwähnt werden soll hier aber, dass Medikamenteneinnahme Vergiftungssyndrome verstärken kann.8 Auch sind (Klein-)Kinder wesentlich stärker gefährdet als Erwachsene. Von Kindergarten-Wiesen sollten regelmäßig alle Pilze entfernt werden, auch wenn der häufig von Kleinkindern abgegraste Heudüngerling kein Psilocybin enthält9, sondern schon allein deshalb, weil rohe Pilze sehr häufig giftig sind oder über ihre Giftigkeit nichts bekannt ist. Aus roh giftigen Pilzen hergestelltes Pilzpulver bleibt auch getrocknet giftig10! Eine Vergiftungsgefährdung ist übrigens auch gegeben, wenn an sich gute Speisepilze verzehrt werden, die auf oder in der Nähe giftiger Bäume wuchsen. So geschehen z.B. bei Schwefelporlingen (Laetiporus sulfureus) auf Eibe und Goldregen. Auch Steinpilze (Boletus edulis) auf Eibennadelhumus enthielten Eibengifte. Samtfußrüblinge (Flammulina velutipes) auf Robinie oder auch Speisepilze auf Traubenkirsche sollten wegen cyanogener Toxine im Holz nicht gesammelt werden.
Verrückte Pilzwelt: Parasitische Röhrlinge (Xerocomus parasiticus), die auf giftigen Kartoffelbovisten (Scleroderma citrina) schmarotzen, sind ungiftig11!
Auch Apfelschorf (Venturia inaequalis), ein häufiger Schlauchpilz auf Äpfeln, stellt keine Mykotoxine her.12
Den meisten dürfte bekannt sein, dass der Grüne Knollenblätterpilz, Amanita phalloides, einen tödlichen Giftstoff, das Phalloidin, enthält, der schon beim Verzehr kleinster Pilzfragmente lebensbedrohlich wirkt. Amanitin, Oberbegriff für eine ganze Reihe ähnlicher Giftstoffe wie das Phalloidin, wird auch durch Erhitzen nicht zerstört! Amanitin geht übrigens auch in die Muttermilch über13!
Ein Kontaktgift ist Amanitin aber aufgrund seiner Polarität und der Größe des Moleküls nicht, kann also über die Haut nicht aufgenommen werden.14
Weniger bekannt ist, dass sehr viele Pilze per se roh unverträglich bis giftig sind. Festgestellt wurden z.B. in fast jeder Ordnung und Familie der Ständerpilze Hämolysine (Seeger und Wiedmann, 1972), die den Abbau roter Blutkörperchen verursachen. Eine ganze Reihe Pilze der Familie der Egerlingsartigen (Agaricaceae), der Schnecklinge (Hygrophoraceae), um nur zwei Familien mit vielen essbaren Pilzarten zu nennen, erwiesen sich als hämolytisch aktiv, während von Röhrlingen (Familie Boletaceae) und Täublingen (Gattung Russula) keine Hämolyse ausging (mehr dazu: www.tintling.at/fach/z_attacke.htm). Diese Hämolysine und andere Giftstoffe, etwa im Perlpilz (Amanita rubescens) oder im Hallimasch (Armillaria spec.) sind hitzelabil oder werden im Verdauungstrakt abgebaut. Anders die Immunhämolysine: sie sind z.B. Auslöser des Paxillus-Syndroms, eines Zerfalls roter Blutkörperchen infolge einer Antigen-Antikörper-Reaktion, durch wiederholten Verzehr des vormals als Speisepilz beliebten Kahlen Krempling (Paxillus involutus), der von Uneinsichtigen offenbar noch immer gerne gegessen wird (mehr dazu in: Giftpilze – Pilzgifte von Flammer, René und Horak, Egon, Basel, 2003, S.49 ff und S.61) Roher Pilzgenuss ist unbedenklich bei Zuchtchampignons (Agaricus bisporus) und bedingt unbedenklich beim Fichten-Steinpilz (Boletus edulis), zu unbedenklich roh genießbaren Exoten zählen die Hexeneier von Stinkmorcheln15 (schmecken nach Kohlrabi oder Rettich), trotzdem ist vor Verzehr von Pilzen aus Wildsammlungen ein Erhitzen möglichst über 70 °C schon zur Zerstörung der Eier des Kleinen Fuchsbandwurms angesagt (www.biologie-lexikon.de/lexikon/fuchsbandwurm.php oder www.test.de), wenn auch die Gefahr einer Infektion äußerst gering ist. Die (meist importierten) Edeltrüffelarten (Tuber brumale, T.uncinatum, T.magnatum, T.melanosporum) können im Allgemeinen ohne Nebenwirkungen roh verzehrt werden. Unbedingt roh verzehrt werden sollte die weiße Piemont-Trüffel (Tuber magnatum), die erhitzt ihr teures Aroma verliert.
Auffallend ist, dass in den Leitsätzen einige Speisepilze enthalten sind, die von Unkundigen durchaus mit giftigen Doppelgängern verwechselt werden können: der Maipilz (Calocybe gambosa) mit dem Ziegelroten Risspilz (Inocybe erubescens), Gemeiner Safranschirmpilz (Chlorophyllum rachodes) mit mindestens einem giftigen Safranschirmpilz, deren Unterscheidung auch Fachleuten Schwierigkeiten bereitet, der Perlpilz (Amanita rubescens) ist roh äußerst giftig und zudem ein Knollenblätterpilz mit z.T. tödlich giftigen Verwandten wie Grüner Knollenblätterpilz (Amanita phalloides), Roter Fliegenpilz (Amanita muscaria) oder Pantherpilz (Amanita pantherina).
Prinzipiell besteht eine Verwechslungsgefahr mit einem giftigen Doppelgänger auch beim Zuchtchampignon (Agaricus bisporus): wildwachsende, Magen-Darm-giftige Karbol-Egerlinge (aus der Artengruppe um Agaricus xanthoderma) sehen ihm und auch einigen anderen wild wachsenden, weißen Champignons täuschend ähnlich. Kein Wunder, dass Vergiftungen mit diesen Champignons, neben Vergiftungen mit dem Grünen Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) und dem Spitzkegeligen Kahlkopf (Psilocybe semilanceata) alljährlich auf der Vergiftungsskala ganz oben stehen (siehe Bericht zu Pilzintoxikationen 2006 des Bundesinstituts für Risikobewertung, zu finden unter www.bfr.bund.de/pilzvergiftungen-in-deutschland)
Grundsätzlich gilt für jede Form des Pilzgenusses: Verzehrt werden dürfen nur Pilze, die man ganz genau kennt und von denen man weiß, wie sie zubereitet werden. Das gilt für Pilze aus Wildsammlungen (auch wenn sie vermarktet werden) genauso wie für Zuchtpilze. Besonders häufig ziehen sich unsere aus Osteuropa stammenden Mitbürger Pilzvergiftungen zu. Mit z.T. abstrusen Vorstellungen über die Essbarkeitskriterien für Wildpilze, wundert man sich, wie Pilzsammler mit solchen Methoden überhaupt alt werden können:
„Wir riechen daran; wenn der Pilz gut riecht, probieren wir ihn, wenn er gut schmeckt, kommt er in die Pfanne.“
„Wir kochen immer eine Zwiebel mit. Wenn sie sich schwarz färbt, werfen wir das ganze Essen weg.“
Das ist genauso mittelalterlich wie der berühmte Silberlöffel, der sich angeblich schwarz verfärbt, wenn ein Giftpilz in der Pfanne ist: die Schwarzverfärbung ist lediglich eine Reaktion der im Pilz enthaltenen schwefelhaltigen Aminosäuren mit dem Löffelsilber. Eine negative Silberlöffelprobe sagt über eventuell in der Pfanne vorhandene Giftpilze gar nichts aus.
Harry Andersson schreibt im Tintling Heft 6/2010 vom 15. Dezember 2010, S.14:
„Pilzsammler, die als Patienten im Krankenhaus landen, verwechseln leider alles mit allem, sind sich leider ihrer Sache sicher, sammeln leider nach Buch oder verlassen sich leider auf den Nachbarn, der angeblich alle Pilze kennt und verfügen selbst ganz offensichtlich nur über rudimentäre Pilzkenntnisse und können daher auch nicht das Risiko und die möglichen Folgen ihrer Sammelleidenschaft abschätzen.“
„Pilzvergiftung – was tun?“
Deutschland besitzt ein bundesweites Netz von Pilzsachverständigen (PSV), die bei Unsicherheiten oder auch bei vermuteten Pilzvergiftungen vor Ort zur Verfügung stehen. Eine Liste der in der Deutschen Gesellschaft für Mykologie organisierten Pilzsachverständigen kann unter www.dgfm-ev.de eingesehen werden. Unter der Rubrik „Pilzvergiftung – was tun?“ gibt es hier auch Handlungsanweisungen in Vergiftungsfällen, Telefonnummern der Giftnotrufzentralen oder – ständig aktualisiert – Labore für Amanitin-Analysen, die Stoffgruppe des tödlichen Giftes im Grünen, Weißen und Kegelhütigen Knollenblätterpilz (Amanita phalloides, A.phalloides var.verna, A.virosa).
Die Deutsche Gesellschaft für Mykologie (DGfM e.V.) hat mit Unterstützung der AOK und der Firma Bühlmann deutsch-russische Plakate drucken lassen, die über hiesige, häufige Giftpilze aufklären und informieren. In jeder ländlichen Gemeinde sollten diese Plakate aushängen!
Wer auf Dauer seine Unwissenheit in puncto Wildpilze (zu Speisezwecken) beheben möchte, dem seien beispielsweise die informativen Einsteigerseminare von Pilzsachverständigen der Arbeitsgemeinschaft Pilze Vulkaneifel (APV) in der Eifel siehe www.apv.de, von der Schwarzwälder Pilzlehrschau in Hornberg mit dem seit 2016 neuen Leiter Björn Wergen siehe www.pilzzentrum.de , von Andreas Gminder in Oberhof, Thüringen siehe www.pilzkurs.de , von der Pilzschule Schwäbischer Wald mit Dr. Lothar Kriegelsteiner in Ruppertshofen, Baden Württemberg siehe www.pilzkunde.de oder – an verschiedenen Orten im Bundesgebiet stattfindend – Dirk Harmel zusammen mit dem BUND Berlin e.V. siehe www.pilz-seminare.de/seminartermine empfohlen.
Legendäres und Geschichtliches„Das Schicksal wollte es, dass die Prophezeiung des Orakels sich erfüllte und der griechische Held Perseus zufällig den eigenen Großvater Akrisios tötete, dem er auf den Thron von Argos nachgefolgt war. Perseus, der die traurige Berühmtheit, die er durch den Vorfall bei seinen Untergebenen erlangt hatte, nicht ertrug, überredete Megapenthes, den Sohn des Proteus dazu, die jeweiligen Reiche zu tauschen. Auf der Reise, die er nun antrat, um das neue Reich in Besitz zu nehmen, konnte sich der ermüdete und durstige Perseus mit Wasser erfrischen, das sich im Hut eines Pilzes gesammelt hatte.Daraufhin beschloss er, an diesem Ort eine neue Hauptstadt zu gründen und sie zur Erinnerung an den Pilz (griechisch: „mýkes“) Mykene zu nennen. Dies ist eine Version der Legende, die uns Pausanius überliefert hat. Vielleicht hat also eine der wichtigsten Kulturen der Vergangenheit, die mykenische, ihren Namen einem legendären Pilz zu verdanken.
Das Symbol des Lebens, das der Pilz in der griechischen Legende darstellt, wird in der römischen Kultur zum Symbol des Todes. Die Römer waren in gastronomischer Hinsicht große Pilzfreunde, wie die zahlreichen, von antiken Autoren überlieferten Pilzrezepte bezeugen. Nichtsdestoweniger bezeichneten sie derartige Organismen mit dem Begriff „fungus“, was möglicherweise „Todesbringer“ (lat.funus = Begräbnis) bedeuten sollte. Der griechische Begriff „mýkes“ und das lateinische „fungus“ dienen heute zur Bezeichnung der Organismen (ital. funghi = Pilze) und der Wissenschaft (Mykologie = wissenschaftliche Pilzkunde). Die Pilze sind stets von einer Aura des Mysteriösen umgeben und von Tausenden von Vorurteilen begleitet gewesen. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert, obwohl schon in klassischer Zeit viele Philosophen und Wissenschaftler versuchten, das Wesen und die Natur der Pilze zu begreifen, und obwohl schon lange vor Beginn der Neuzeit ihre giftigen Eigenschaften und Methoden der Pilzzucht bekannt waren.“16
Die erste wissenschaftliche Arbeit über die Wirkung und Zubereitung von Pilzen datiert aus dem ersten Jahrhundert n.Chr. und ist Teil der 5-bändigen Arzneimittellehre des griechischen Arztes Dioscurides. Dieses Werk blieb 1500 Jahre lang das maßgebende Lehrbuch der Pharmakologie.
Die Kelten, die zur Römerzeit u.a. das Gebiet des heutigen Deutschland besiedelten, verwendeten offenbar keine Pilze, da ihr Wachstum in die dunkle Jahreshälfte fiel, in der ab November nicht einmal Kräuter gesammelt werden durften: Alles was dann noch draußen war, war puca, gehörte den Geistern. Pilze finden zumindest mit keinem Wort Erwähnung in Storls großem Buch über die Pflanzen, Gottheiten und Lebensweisen der Kelten.17 Erst im Althochdeutschen taucht der Begriff buliz für Pilz auf, mittelhochdeutsch wurde daraus bülez, dann bülz, im 16.Jahrhundert bilz bis im 18. Jahrhundert erstmals von Pilz die Rede ist.18
Agaricus bisporus, der Zuchtchampignon, wird erstmals seit Mitte des 17. Jahrhunderts zunächst im Freiland bei Paris kultiviert. Als man feststellte, dass Champignons auch ohne Licht gedeihen, begann man Ende des 18. Jahrhunderts die Stollen und Kasematten unter Paris zu nutzen: bis heute heißen Zuchtchampignons in Frankreich „champignons de Paris“.
Erst um 1930 entstand durch Mutation die weiße Variante des Zuchtchampignon und verdrängte den braunen Typus, der als scheinbar „naturnäher“ eine Renaissance seit 1980 erlebt (siehe auch: www.obst-gemuese.at).
Was wir essen, besonders wenn wir Zuchtpilze essen, wird umfassend beschrieben auf den Seiten des aid-Verbraucherschutz-Portals www.was-wir-essen.de/abisz/speisepilze.
Wir verzichten in unserer online-Version auf Wiederholungen der dort zusammengestellten Informationen über Speisepilze.
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